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Kirgisistan/Bischkek
Richard Schiessl: Große Ideen für kleine Städte

Im September 2015 besuchte Herr Richard Schiessl, Vertreter der Stadtverwaltung Kempten/Deutschland, Kirgisistan und hielt ein Fortbildungsseminar ab. Er ist Leiter der Abteilung für Wirtschaft, Kultur und Verwaltung und war zuvor Leiter der Abteilung zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, der städtischen Bauvorhaben und der Analyse des Wohnungsmarkts.

Das Seminar wurde für die Studenten und Absolventen der gemeinsamen Masterprogramme der Akademie für öffentliche Verwaltung unter dem Präsidenten der Kirgisischen Republik und der Hanns-Seidel-Stiftung, Bürgermeister von kirgisischen Gemeinden und Kleinstädten, Gemeinderäte und kommunale Bedienstete aus dem Wirtschaftsbereich, sowie Vertreter der Akademie für öffentliche Verwaltung unter dem Präsidenten der Kirgisischen Republik organisiert. Im Seminar wurden die Grundlagen der kommunalen Verwaltung in Bayern, Strategien und Instrumente für die nachhaltige Entwicklung von Städten, das Boden-und Flächenmanagement in Gemeinden und Städten, die Entwicklung von kommunaler Infrastruktur, sowie die Gestaltung der Beziehungen der Verwaltung mit den Bürgern und dem Privatsektor behandelt.- Herr Schiessl, ist es angemessen, zu fragen, ob man die deutschen Städte und Gemeinden mit den kirgisischen vergleichen kann?In Wirklichkeit haben die deutschen Stadt- und Gemeindeverwaltungen dieselben Aufgaben wie alle anderen weltweit: Die Schaffung von menschenwürdigen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen für ihre Bürger. Und das ist wiederum nur durch die Entwicklung der Wirtschaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen möglich. Derzeit gibt es in Deutschland die Situation, dass die Städte und Gemeinden nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit anderen Ländern im Wettbewerb um weitere wirtschaftliche Entwicklung (Investitionen) stehen. Zuerst wurde die deutsche Textilindustrie nach Südostasien verlagert - wegen der dortigen niedrigen Löhne.  Anschließend wanderte die Herstellung von Computern aus Deutschland ab. Gegenüber den billigen menschlichen Ressourcen in anderen Ländern kann nur mit einer erfolgreichen und effizienten Arbeit der deutschen kommunalen und öffentlichen Verwaltungen gegengehalten werden. Und der Privatsektor schätzt deren zuverlässige Arbeit sehr.In den Händen der Verwaltung gibt es auch solche Instrumente wie die Gewährung von Steuervergünstigungen, Vorteile bei der Zuteilung von Gewerbegrundstücken und natürlich die Zurverfügungstellung von hochqualifizierten Arbeitskräften. Natürlich spielt auch die Bekämpfung der Korruption eine große Rolle, damit Unternehmen nicht von der Willkür der Bürokratie abhängig sind und kein Geld für Bestechungsgelder ausgeben müssen.- Dies betrifft nicht nur die Großstädte, sondern auch kleine Siedlungen und Dörfer? Kleinstädte können ihre Vorteile gegenüber großen in Bezug auf Preise haben (z. B. niedrigere Preise für Gewerbegrundstücke). Ich komme aus einer Kleinstadt mit einer Bevölkerung von 65.000 Menschen. Wir sind ständig bestrebt, sicherzustellen, dass neue Unternehmen zu uns kommen. Und das wichtigste ist, dass sie auch bei uns bleiben. Wichtig ist, seine Ressourcen richtig zu bewerten. Ressourcen gibt es in der Regel genug. Man muss  nur eine ernsthafte und detaillierte Bestandsaufnahme durchführen. So gibt es kommunale Flächen und oftmals Gebäude, die nicht benutzt werden. All dies, sowie eine jeder Zeit sich verbessernde Infrastruktur (Standorte in der Nähe von Autobahnen, High-Speed-Internet) muss man dem Privatsektor zur Verfügung stellen.Ein anderer Weg ist die Förderung der eigenen Bürger zur Führung ihrer  Geschäfte. Es gibt immer die sogenannten "unterbewerteten Talente", auch im Dienstleistungssektor. Jemand bäckt gut, der andere kocht gut, usw. Wir müssen für sie günstige und komplexe Bedingungen schaffen. Zum Beispiel sollten wir einem Investor nicht nur einen leer stehenden Raum für ein Café geben, sondern ihm auch helfen, daneben einen Kinderspielplatz einzurichten, von dem zu ihm Kunden kommen. Der Unternehmer wird einen Mitarbeiter einstellen, dann noch weitere. Und das ist gerade die Schaffung von Arbeitsplätzen.Dieses Beispiel steht für die sogenannte Entwicklung des Geschäfts von innen und nicht von außen.  Ein anderer Weg, aber recht teuer, ist,  sich auf regionaler Ebene für die Ausarbeitung einer gemeinsamen Marketingstrategie zusammenzutun. Die Stadt Kempten vereinigte sich so mit ihren Nachbargemeinden und fördert den gesamten Landkreis Allgäu und nicht nur Kempten allein.- Ihr Ansatz ist klar: Die Wirtschaft muss entwickelt werden. Aber wie üblich, wenn das Geld nicht reicht, fängt man an zu denken, für was das zur Verfügung stehende Geld ausgegeben werden sollte. Zum Beispiel haben wir in Kirgisistan sogenannte Regionalentwicklungsfonds, die von Großbetrieben wie Bergbauunternehmen mit finanziellen Ressourcen eingespeist werden.  Diese sind vor allem für die Entwicklung der Gebiete gedacht, in denen die Unternehmen selbst tätig sind. Heute gibt es eine starke Tendenz, Geld aus diesen Fonds für soziale Projekte auszugeben (Straßenbau, Bau von Schulen oder Kindergärten), aber in den wenigsten Fällen resultieren daraus Investitionen in die lokale Unternehmensentwicklung. Es wird deshalb diskutiert, dass diese Strategie für die Gemeinden nur einen Anstieg der laufenden Verbindlichkeiten/Passiva mit sich bringt, aber keine Aktiva schafft.Oft sind diese Art von Investitionen aber keine Verbindlichkeiten/Passiva, sondern echte Investitionen in Humanressourcen, die sich in voller Höhe zurückzahlen. Die Frage „Wie man das zur Verfügung stehende Geld ausgibt?“ verursacht jedoch immer eine Menge Diskussion. Und dann das Wichtigste: Entscheidungen sollen nur im Rahmen von Beratungen und in intensivem Dialog mit den Bürgern getroffen werden. Für die regionalen Entwicklungsfonds sollten die Lösungen bezüglich der Ressourcennutzung unterschiedlich sein. Es gibt keine fertigen Rezepte. Ich würde mich freuen, ein solches zu erfahren und mit nach Deutschland nehmen zu können.-  So sind wir bei der Zusammenarbeit mit den Bürgern gelandet …    - Ja, die aktive Beteiligung der Bürger ist ein Bestandteil der nachhaltigen Stadtentwicklung. Dies gilt in mehrfacher Hinsicht: Erstens müssen Sie ihre Steuern voll einzahlen und erhalten dafür vollwertige kommunale und öffentliche Dienstleistungen.  Auch können sie an den Entscheidungen auf der Ebene der Städte und Regionen jeder Zeit teilnehmen. Die deutsche Verwaltung trifft alleine keine Entscheidung, nur im Dialog mit den Einwohnern. Das ist der Grundstein von allem. Aber die Bürger arbeiten auch in verschiedenen Bereichen freiwillig. Und das hat schon eine lange Tradition. Viele kommunale Aufgaben in Bayern wie Brandschutz, Erhaltung und Entwicklung des kulturellen Erbes usw. werden von den Bürgern freiwillig erfüllt.Der Anteil der Bürgerbeteiligung ist in Bayern und in der Stadt Kempten besonders hoch. Die Menschen kommen zur Verwaltung und bieten ihre Hilfe an. Pensionierte Lehrer wollen Unterricht für diejenigen, die Nachhilfe benötigen, kostenlos geben. Jetzt gibt es eine Menge von Freiwilligen, die bei Aufnahmen der Flüchtlinge helfen. Sie bringen Kleidung, Spielzeug, unterrichten den Neuankommenden die deutsche Sprache und nehmen sie oft mit auf ein Picknick. Einige helfen auch bei rechtlichen Themen. Es gibt oft zu viele Freiwillige, so dass wir einige wieder wegschicken müssen.Und auch einige Fragen, die nicht  ganz relevant für das Thema sind: Willkürliche illegale Bebauung, ungesetzliche Besetzung von Flächen und Verkehrsstaus. Diese Themen sind hochaktuell für Bischkek. Auch wenn die Stadtverwaltung von Bischkek für die Verkehrsberuhigung der Straßen einen konkreten Plan hat (die Einführung von Einbahnverkehr, bezahlte Einfahrt in das Stadtzentrum unter der Woche), versteht man anschließend überhaupt nicht, was man mit dem derzeitigen architektonischen Chaos  tun soll...Ich habe  Bischkek nur kurz gesehen. Aber all die Maßnahmen, um Straßen zu beruhigen, sind nicht neu erfunden und werden bereits weltweit in Städten umgesetzt. Meine persönliche Meinung ist immer, dass es notwendig ist, die Gebühr für das Parken zu erhöhen. Oder überhaupt Parkgebühren einführen, wenn es sie noch nicht gibt. Im Hinblick auf unkontrollierte Baumaßnahmen: Ich denke, dass wir es hier mit illegalen Bebauungen zu tun haben. In diesem Fall wendet sich unsere Stadtverwaltung an das Gericht. In 95% der Fälle gewinnen wir, weil in der Stadtverwaltung sehr gute Rechtsanwälte arbeiten. Und dann werden Folgemaßnahmen getroffen, einschließlich des Abrisses von Bauten. Zuvor müssen aber alle Fälle vor Gericht beigelegt werden. Das Wichtigste bei der Entwicklung jeder einzelnen Gemeinde und des Staates als Ganzes ist, dass die Gesetze arbeiten. Gesetze werden nun mal verabschiedet, damit sie eingehalten werden.